Fragtest du mich, worunter ich leide, so schwiege ich von den Einsamkeiten, die mich befallen, selbst unter Menschen, deren Hände und Worte warm sind und weich wie der Duft der Magnolie. Auch von durchbangten Nächten, in denen ich manches Unheil erwartete das niemals eintrat, schwiege ich, wie von den Tagen, an denen ich blind für das Wunder blieb, das mich atmend umspinnt. Ich spräche nicht von den Wunden und Narben, von denen ich ahne dass sie mich zeichnen, doch nicht entstellen, und...
Als ich 16 Jahre alt war, sagte ein Jesuitenpater zu mir "Es gehört zu den schwersten Dingen im Leben, zu lernen dass man dem Anderen das Kreuz nicht abnehmen kann, das er trägt." Schrecklich eigentlich, dass das Bild von einem Mann, der sein Folter- und Sterbeinstrument auf dem Rücken trägt, halbtot geprügelt und restlos ausgeliefert, in unserem kulturellen Gedächtnis zur Blaupause eines Menschen geworden ist, der seine Leiden annimmt und bis zum Ende und dem "Danach" durchfühlt. Ich...
Noch während du dich gottverlassen fühlst legt die Spinne, deren Netz deine Traurigkeit hören kann, einen neuen Faden an. Noch während du deine Einsamkeit bedauerst, hält das Lied des Zeisigs deinen Mut aufrecht, und schimmert der Tautropfen, in dem ein ganzes All lebendig ist, deinem Blick entgegen. Noch während du nach einem Wort suchst, das deinem Schmerz einen Namen gibt, rufen die Steine den Regen und einen sanften Wind herbei, damit der Petrichor dir warmen Trost in deine Sinne...
In Deutschland sind bis heute 21.064 Menschen an Covid verstorben. Hinter jedem dieser Todesfälle steht eine persönliche Geschichte, von der wir nicht wissen. Hinter jedem Toten Trauernde. Menschen, die jemanden unwiederbringlich verloren haben, Menschen die vielleicht bis zum letzten Atemzug ihres Liebsten warteten, hofften, bangten oder völlig im Ungewissen blieben. Menschen, die sich nicht verabschieden konnten. Kinder von ihren Eltern, Eltern von ihren Kindern, Männer und Frauen von...
Morgen beginnt die Fastenzeit. Ich möchte an dieser Stelle herzlich zu meinem viertägigen Seminar einladen, in dem wir - passend zur Passionszeit - etwas sehr unpopuläres tun: wir schauen beherzt auf unsere Wunden, auf unseren Schmerz, unsere Angst, unsere Scham, und üben einen kreativen, meditativen und konstruktiven Umgang mit unserer Verwundbarkeit. Vielfach lassen wir uns in spirituellen Milieus zu der Annahme verleiten, Glück und positive Gestimmtheit seien Ziele, die um jeden Preis...
Es war mir eine große Freude, als die geschätzte Buchautorin und Trauerbegleiterin Eva Terhorst mich kürzlich zum Interview in ihr Trauerradio einlud, um mit ihr über den Dächern Berlins ein wenig zu plaudern: über Endlichkeit, Trauer und Schmerz als Lebenswirklichkeiten, denen wir mutig begegnen dürfen. Auch die satten 35 Grad Sommerhitze konnten uns nicht daran hindern, uns darüber hinaus angeregt über Segenspraxis, Klanggebete und mein neues Buch zu unterhalten. Und nicht zuletzt...
Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen. Die erste und tiefste Wunde des Menschen: die Trennung. Dem Dunkel des bergenden Mutterschoßes entrissen. Getrennt von der Schnur, die uns vereinte. Getrennt vom Empfinden, Welt zu sein. Getrennt vom Freund, der geht, vom Geliebten, der uns verlässt, getrennt vom Glauben, der unerschütterlich schien, und von der Freude, die kein Ende ahnen liess. Getrennt von uns selbst in tausend inneren Kämpfen. Alles Werden ist ein Werden in die...
Am Sonntag war es mir eine Freude, in der Hamburger Kirche der Stille eine Gruppe durch Bildmeditationen zur Passionszeit und durch die Frage zu begleiten, welche menschlichen Wunden unser Leben maßgeblich prägen. Die Wunde - Ort der Ohnmacht und der Schmerzen. Aber auch Ort, an dem das tragende Licht der Gottesgegenwart immer schon verheissungsvoll aufscheint. Die Wunde bewusst zu tragen und uns so von verstrickenden Projektionen und Vermeidungsstrategien zu befreien ist möglich - der...
Nimm die Welt in Dein Herz. Lass sie für einen Atemzug in Deiner Leibesmitte kranken. Umspanne sie mit Deiner dünn gewordnen Haut als Zelt, in dem sie ihre Wunden salben kann. Alle Lasten ihrer ungesagten Worte bewahre tief im dunklen Schweigeraum. Vielleicht bist Du der Welt in ihrem schweren Wandern die lang ersehnte Ruhekammer. Vielleicht liegt morgen schon auf ihren selbstvergessnen Schritten der Segen Deiner Gegenwärtigkeit.
Atme auf (Segensworte nach einem Suizid) Wie viele Untröstlichkeiten hast Du wohl gesammelt mit den Jahren, wie viele Bitten für unaussprechlich gehalten in unserer Mitte, wie viele Male das Sterben vertagt, mit einem Rest Hoffnung als Kissen in schlaflosem Träumen von Tagen, die wirtlicher sind. Ein Sterben wie Deines ist schwer zu ertragen, weil es sagt, dass mitten im Leben das Morgen Dir schon verloren schien. Wohin nun mit den Worten, die trösten und stärken, wohin mit den Gesten, die...