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Frohe Pfingsten!

Hätte man mich vor 25 Jahren gefragt, was die Christenheit zu Pfingsten feiert, so hätte ich vermutlich mit ratlosen Worten die diffuse Allgegenwart des Geistes abgetastet oder vor lauter Verzweiflung auf den Katechismus zurückgegriffen. Heute weiss ich, dass das vor allem einen Grund hat:

 

Dem Heiligen Geist, wie er mir von katholischer Seite vermittelt worden war, lag ein Geistbegriff zugrunde, der nahezu klinisch rein von jeder Körperlichkeit war. Er war eine Idee - irgendetwas zwischen „Die Gedanken sind frei“ und den Manifestationen welt- und körperfeindlicher Frömmigkeit. Obendrein war er auch „Person“, aber vor allem eben: ein „Er“. Lauter Gründe für mein damaliges religiöses Ich, die Sache mit dem Heiligen Geist erst mal beiseitezulegen. Akte geschlossen.

 

Es war erst viele Jahre später, dass ich die Akte Heiliger Geist wieder ohne Ressentiments in die Hand nehmen konnte. Diesem verwundeten Symbol seine vielen Dimensionen zurückzugeben, so höre ich auch oft aus den Erfahrungen von Christ*innen denen ich in meinen Seminaren begegne, ist für viele Menschen in der Westkirche auch heute noch ein hartes Stück Arbeit und eine lange Reise:

 

Rückwärts vom männlichen spiritus sanctus zum sächlichen pneuma zur weiblichen ruach. Zurück zum zutiefst körperlichen Hauch und Atem – Grundlage des Lebens.  Zurück zu den biblischen Sinnbildern Wind, Feuer, Wasser - der rohen Kraft der Elemente, zurück zur Taube, dem seit jeher menschennahen, von Städter*innen zu Unrecht meistgehassten Vogel. Zurück zum Klang von Säuseln und Brausen. Zurück zum Schöpfungsbericht, in dem die ruach über den Wassern der tehomischen Tiefe schwebt wie ein brütender Vogel, wie ein summender, bebender, schwingender Beschwörungsklang, wie ein zutiefst sinnliches und gleichermaßen traumbildlich wirklichkeitsschaffendes und -transzendierendes Geschehen. (Bitte beachten Sie dazu auch meine Betrachtung in der aktuellen Publik Forum 10/2022).

 

Apropos Traumbilder: In seiner Pfingstpredigt greift Petrus auf die Verheissungen des Propheten Joel zurück, in denen es heisst: „Ich werde meinen Geist auf alle Menschen ausgiessen. Prophetisch reden werden eure Söhne und eure Töchter, eure Jungen werden Gesichte schauen, und eure Alten werden Träume haben.“ (Joel 3,1)

 

Ich habe mich viele Jahre gefragt, warum in der Kirche wie ich sie kannte, keinerlei Wertschätzung für oder Interesse an prophetischen Reden, an Visionen und an Träumen bestand. Ganz im Gegenteil: die wenigen male, die ich es wagte, Priestern von meinen Träumen und „Gesichten“ zu erzählen oder ihnen schriftliche Aufzeichnungen davon anzuvertrauen, forderten sie mich dazu auf, die Niederschriften zu verbrennen und mich „vor Teufelswerk zu hüten“. Und so unzeitgemäß das klingt, es ist noch nicht lange genug her um sich in Sicherheit zu wähnen, denn solches widerfuhr mir in den Neunzigern. Und das allen biblischen Erzählungen von Visionen, Prophetie und von Träumen zum Trotz, die heilsgeschichtliche Bedeutung haben und ohne die wir Christen - nicht nur zu Pfingsten - schlicht und ergreifend nichts zu feiern hätten.

 

Dass wir heute nur ein sehr begrenztes Verständnis etwa von Träumen haben, verdankt sich freilich nicht bloß kirchlicher Angst vor Machtverlust, vor weiblicher Kraft und dem Reich der Intuition. Es liegt auch und gerade an unserer verengten Weltsicht, die Wissenschaft, Fakten und Information schätzt (und als deren Verzerrung Fakenews und Desinformation) und alles darüber hinausweisende gern ins Reich des Dubiosen, der Esoterik oder Phantasterei verbannt. Dabei ist gerade das Traumbewusstsein so etwas wie ein Ökosystem schöpferischer Weltgestaltung, auf das wir, mehr denn je in diesen verstörenden Zeiten, angewiesen sind.

 

Wenn der Geist ausgegossen wird und wir träumen, dann kann das bedeuten, dass wir ein neues Verhältnis zu unserem Traumbewusstsein entwickeln müssen. Traumbewusstsein hat viele Gesichter.

 

Was, wenn wir annähmen, unsere nächtlichen Träume seien mehr als nur Verarbeitung des tagsüber Erlebten? Wenn wir es wagten, vor dem Schlafengehen unsere Träume zu befragen? Antworten auf unsere Not und die Not unserer Zeit in unsere Träume einzuladen? Wenn wir uns einließen auf irritierende Bilder, verschlüsselte Botschaften und das Auftauchen von Geschichten, an denen viele Träumende partizipieren?

 

Was, wenn wir es wieder wagten, Tagträume zu haben, und dies nicht als Weltflucht, Zerstreuung oder Dysfunktionalität begriffen? Wenn wir uns bewusst Zeit und Raum nähmen, selbst der Raum wären, in dem wir eine unbekannte Welt herbeisehen, -lauschen und -schmecken?

 

Was, wenn wir unseren Toten, deren „continuation body“ (Thich Nhat Hanh) wir auch sind, erlaubten, in uns zu träumen?

 

Was, wenn wir alles Lebendige fragten, was es träumt. Den Baum, den Berg, den Regen. Wenn wir begännen zu ahnen, dass es die von uns vergifteten Gewässer, von uns ausgebeuteten Böden und von uns verschmutzten Lüfte sind, die unsere Umkehr träumen, unseren Bruch mit dem Glauben, es drehe sich alles um uns.

 

Was, wenn wir die ruach riefen und es so meinten, dass sie in uns hauchen, brausen, brennen und fliessen möge, dass sie in uns träumen, schauen und prophetisch reden möge, und dass wir es wagten, so zu sein wie die Apostel im Pfingstwunder (und im untenstehenden Bild von Mazzucchelli), von denen die Leute annahmen, sie seien „betrunken“.

 

Betrunken, das soll wohl heissen: ver-rückt, be-rauscht, bewegt, taumelnd, vergessen, ausser Kontrolle.

 

Wir stehen unter der Kontrolle vieler Dinge, die an ihr natürliches Ende gelangen. Wir stehen an den Rändern einer Tiefe, die träumt und uns Träumende braucht. Die Zeit drängt.

 

Ich wünsche Ihnen frohe Pfingsten!

 

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