In diesen Tagen habe ich von Kirche oft gehört, wir sollten uns den Einsamen widmen, sie nicht vergessen, sie anrufen, ihnen schreiben, ihnen mit Maske aus der Ferne zum Balkon raufwinken.
Und ja, daran gibts nichts zu mosern, denn Einsamkeit ist jedes Jahr aufs neue eine Tragödie, und in diesem Jahr sicher noch mehr, und ich bin dankbar für jeden Menschen, der die Einsamkeit
des anderen mitdenkt, mitfühlt und sich da in der Verantwortung sieht.
Aber ich denke jedes Jahr aufs Neue, wieviel Einsamkeit die Erzählungen der Christenheit im Allgemeinen und der Kirche im Speziellen verursacht haben und verursachen, und warum die großen
Kirchen und - natürlich allen voran die katholische - nicht so freundlich sind, sich auch als Verursacher vermeidbarer Einsamkeit schuldbewusst und selbstkritisch an die Brust zu
schlagen.
Das Krippenidyll besteht bekanntlich aus Vater, Mutter, Kind (Sohn), und dieses Modell heisst nicht grundlos "Heilige Familie", und wird seit gefühlten Ewigkeiten von der Kirche vor sich
hergetragen und mit Zähnen und Klauen verteidigt, gegen jede andere Identität, jede andere gelebte Wirklichkeit, jede andere Konstellation, die genauso verdient als "heilig" benannt, gesegnet
und verteidigt zu werden (zum Beispiel gegen gesellschaftliche Ausgrenzung/Diskriminierung).
Die katholische Kirche ist alles andere als unschuldig daran, dass sich Singles, Alleinerziehende, Unverheiratete, aber vor allem Lesben, Schwule, Bisexuelle, Intersexuelle, Trans und queere
Menschen allein, ausgegrenzt, einsam oder heimatlos fühlen, oder befremdet die Stirn runzeln, wenn sie selbst Teil dieser Glaubensgemeinschaft sind, die es nicht lassen kann, der sich rasant
wandelnden Welt mit einem heteronormativen Flächenbombardement weihnachtlicher Kitschbilder zu begegnen. Und bei dieser retroromantischen Form der ikonographischen Aggression bleibt es ja
nicht, denn:
Dass heutzutage bis in die bürgerliche Mitte hinein, aber vor allem von der extremen Rechten, der AfD, Pegida, Männerrechtsgruppen und christlich-fundamentalistischen Netzwerken von
"Gender-Ideologie", "Gender-Gaga" oder "Gender-Wahn" gesprochen wird, und dass diese Begriffe normalisiert wurden, obschon sie ein Zerrbild der Gender Studies und der Begriffe Gender, Gender
Mainstreaming und Gender Equality darstellen, das verdankt sich vor allem der katholischen Kirche und ihren Bemühungen um Machterhalt und Deutungshoheit.
Vor allem ihr verdanken wir eine im breiten gesellschaftlichen Diskurs angekommene aggressive Polemisierung und Diffamierung, die ein zeitgemäßes und diskriminierungsfreies Verständnis von
geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung im Keim erstickt. Sei es durch solche unsägliche Dokumente wie "Als Mann und Frau schuf er sie" oder durch die zahllosen öffentlichen
Stellungnahmen von Priestern, Bischöfen und dem Papst höchstselbst: die Kirche verbreitet seit vielen Jahren, und besonders aggressiv seit etwa 2013 zu diesem Thema nicht nur die erwartbare
fromme Rückwärtsgewandtheit, sondern darüber hinaus Fehlinformationen, Unwissenschaftlichkeit und realitätsferne Behauptungen.
Wie etwa Jadranka Rebeka Anić detailliert in ihrem Text "Anti-Gender Bewegung: Ein Beitrag zur Bewertung des Phänomens" herausarbeitet, gebraucht Kirche die Begriffe "Gender,
Gender-Mainstreaming und Gender-Perspektive nie in dem Sinne, in dem diese Begriffe in den internationalen Dokumenten definiert sind und benutzt werden", sondern auf ihre ganz eigene
verzerrende Weise - einher damit geht die Gelassenheit, mit der polnische und slowakische Bischöfe die "Genderideologie" mit einer "Kultur des Todes", dem Nationalsozialismus, der Euthanasie
und "sodomitischer Ideologie" in Verbindung bringen oder gleichsetzen.
Das Wort Gender mit allerlei alternativen Fakten, Unterstellungen, Diffamierungen und blankem Unfug zu füllen ist dabei keine katholische Tollpatschigkeit oder Trotteligkeit - es ist
politisches Kalkül und absichtsvolle Agitation. Elżbieta Korolczuk von der Uni Warschau kommt zu dem Schluss, die Anti-Gender-Debatte werde bewusst vom akademischen Diskurs in die öffentliche
Meinung verlegt, wo sie von der Unwissenheit der breiten Masse profitiert und moralische Empörung provozieren will. Und wie politisch die verschiedenen Anti-Gender-Autoren in allen Ländern
auch sind, ein wesentlicher Treiber der öffentlichen Anti-Gender-Debatte war und ist die katholische Kirche. Dabei unterstützt sie die Anti-Gender-Aktivisten nicht nur ideell, sondern in
vielen Ländern auch finanziell.
Eine Säule ihres ideologischen Wirkens ist dabei - wie könnte es anders sein - die tiefsitzende und unheilvolle Misogynie, die schon zur kirchlichen DNA gehörte, lange bevor ein Wort wie
Gender überhaupt das erste mal gedacht wurde. Insofern kratzt es die mater ecclesia auch wenig, wenn ihre Absichten in der Anti-Gender-Debatte Rechtspopulisten in die Hände spielen oder offen
antifeministische, männerbündische oder fundamentalistische Projekte stützen, denn mindestens das rückständige Frauenbild scheint ja all diese Interessenverbände zu vereinen.
Damit macht die katholische Kirche - anders als viele abwinkend und mit einem Grinsen verlauten lassen - sich eben nicht nicht nur lächerlich, sondern sie macht sich schuldig: Schuldig an den
Menschen aus dem LGTBQI+ Spektrum, die auf der ganzen Welt (und in vielen Ländern unter andauernder Lebensgefahr) täglich zahllosen Diskriminierungen, Stigmatisierungen und konkreten
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
Und ja, die wachsende Bedeutungslosigkeit der Kirche ist in aller Munde, aber wer nicht sieht, welchen Einfluss die großen Kirchen immer noch auf gesellschaftliche Debatten haben, der lebt an
der Realität vorbei. Die katholische Kirche weiss um diese Bedeutung, um den Radius ihrer Einflussnahme, und missbraucht sie - bis heute ohne Reue, Einsicht, Bitte um Verzeihung oder
entschlossene Kursänderung.
Mit einem Schuldbekenntnis, Selbstkritik, Transparenz und einer öffentlichen Distanzierung von den Irrtümern der Vergangenheit wäre ein erster Schritt getan. Wenn überhaupt irgendwann so
etwas wie Versöhnung denkbar sein soll. Vielleicht sähe dann auch die Krippe für viele weniger toxisch aus als sie es derzeit tut.
Die Einsamen, die Du schufst, Kirche. Wann kümmerst Du Dich um sie?
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Bild:
Daniel Hopfer - Tod und Teufel überraschen zwei Frauen, 1515
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